Kanban: Prozessverbesserung à la carte
Sicher hast Du den Begriff "Kanban" schon mal gehört – aber kennst Du auch die Power, die hinter diesem Organisationskonzept steckt? Wenn nicht, bleib ein bisschen bei uns und erfahre, wo Kanban herkommt, wie es funktioniert und wie es die Arbeitsweise Deines Teams bereichern kann!
Was ist Kanban?
Der Begriff "Kanban" stammt aus Japan und bedeutet "Karte" und "Tafel". Der zusammengesetzte Titel benennt die Kernelemente der Methode: Über die namensgebenden Karten werden relevante Informationen weitergegeben, über die Tafel – bzw. das Board – werden die Karten bewegt. Aber first things first!
Zero Waste der anderen Art: das TPS und die Ursprünge des Kanban
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – 1947 – stellte Taiichi Ohno, Ingenieur und Produktionsleiter des japanischen Autoherstellers Toyota das Kanban-Prinzip im Zuge der Erweiterung des Toyota Production Systems (TPS) vor. Dieses TPS ist ein seit mehr als 100 Jahren stetig weiter- und damit hochentwickeltes und bis heute weltweit angesehenes System zur Vermeidung von Verschwendung und damit zur Steigerung der Effizienz, das die Grenzen der Automobilfabrik mittlerweile schon lange verlassen hat.
Denn das Ziel – die Kombi aus hoher Produktivität, bester Qualität und pünktlicher Lieferung – ist die Zauberformel für glückliche Stakeholder in allen möglichen Bereichen.
Ein Kernelement des TPS ist das Just-in-Time-Prinzip (JIT), für dessen Verständnis wir uns am besten kurz zurück in die Toyota-Produktionshallen der Nachkriegszeit versetzen: Beim ehemaligen Deutschland-Verbündeten Japan herrscht Rohstoffknappheit, die noch verschärft wird durch den Versuch der USA, die japanische Automobilindustrie mit isolatorischer Wirtschaftspolitik ins Hintertreffen zu versetzen. Derart in der Klemme, muss Toyota nun klug reagieren.
The starting concept of the Toyota production system was, as I have emphasized several times, a thorough elimination of waste.
Taiichi Ohno, Begründer von Kanban
Um sich dem Ideal der "konsequenten Vermeidung von Verschwendung" anzunähern, orientiert sich Ohno an Supermärkten, die nur das nachbestellen, was leer ist. Demnach darf 1947 bei Toyota nur produziert werden, was auch von Kunden gekauft wird (build-to-order): Statt 100 neue Autos zu bauen, die im Laden herumstehen, werden nur die 10 gebaut, die bereits vorbestellt sind. Die Teilnehmenden am JIT-System committen sich darauf, Überfluss zu vermeiden – keine Überproduktion, keine überflüssigen Arbeitsschritte oder Materialien, keine vergeudete Zeit mehr.
Das Gegenteil der Verschwendung ist Wertschöpfung, und als solche gilt zum Beispiel eine laufende Maschine, die tut, was sie soll. Verschwendung ist, wenn Mitarbeitende die Maschine aufschrauben müssen, um einen Fehler zu finden oder dafür gar länger auf Teile warten.
Mit einem hohen Maß an Selbstreflexion und dem unbedingten Willen zur kontinuierlichen Verbesserung hält Toyota mithilfe des Systems Produktionsausfälle so gering wie möglich und setzt damit bis heute ein Benchmark der effizienten Produktion. Ganz anders als in Henry Fords Produktionshallen, wo die Arbeiter:innen am Fließband stumpf und stumm einfach nur die für sie bestimmte Tätigkeit ausführen sollen, wünscht das TPS ausdrücklich das Feedback der Mitarbeitenden und fordert sie auf, alles zu melden, was sie für verbesserungswürdig halten.
Als weitere bedeutende Ergänzung fügte Ohno dem TPS die Ebene der Lieferanten hinzu. Sie versorgten Toyota nicht mit allerhand Ladenhütern, sondern anhand des dort geschätzten bzw. konkreten Bedarfs mit neuen Teilen. So verminderten sich Lagerkosten, Lieferzeiten und Planungsaufwände.
Wie funktioniert Kanban?
Um zu ermitteln, was nachbestellt werden musste, reichten die Toyota-Mitarbeitenden Karten – "Kanban" bzw. 看板 – zwischen den Fertigungsteams weiter, auf denen Aussagen über vorhandene Kapazitäten standen. Gingen einem Team etwa die Materialien aus, bekam das Lager eine Karte, auf der stand, wieviel wovon fehlte und lieferte die entsprechenden Teile an die Produktion aus. Eine andere Karte wanderte vom Lager an die Lieferanten, die ihrerseits auch gewisse Mengen an Teilen vorrätig hielten usw.
Dabei gibt es einige Regeln zu beachten: Material darf beispielsweise nur via Kanban-Karte und in der exakten Menge bestellt werden. Es darf nicht zu früh angefordert werden, um unnötige Wege und Überbestände im Lager zu vermeiden, und auch in den Fabrikhallen darf nicht auf Vorrat produziert werden. Bei der Fertigung steht hohe Qualität im Fokus, da Ausschuss und Mängel als Verschwendung klassifiziert sind. Um einen immer gleichmäßiger werdenden Wertstrom und Arbeitsfluss zu erzeugen, werden die Fertigungsschritte zunehmend ausbalanciert und die Arbeiter:innen optimal ausgelastet.
Kanban im IT-Projektmanagement
In den frühen 2000ern übertrug der britische Wissenschaftler und damalige Manager bei Microsoft David J. Anderson die Funktionsweise der Kanban-Methode auf das agile IT-Projektmanagement und etablierte dabei generelle Prozess- und Systemveränderungen für Organisationen. Dafür orientierte er sich an einigen Leitplanken, die Du nun kennenlernst!
Die Grundprinzipien von Kanban
Change Management
Ohne aktuelle Rollen, Verantwortlichkeiten oder Organisationsstrukturen anzutasten, verändert Kanban eine Organisation und berücksichtigt dabei die Skepsis vieler Menschen gegenüber Veränderungsprozessen. Um auf den geringsten Widerstand zu stoßen, ist die Methode minimalinvasiv und maximal lösungsorientiert gestaltet und baut nur auf einige wenige Prinzipien:
Prinzip 1: Beginnt, wo Ihr steht
Der erste Schritt zur Verbesserung ist bekanntlich Selbsterkenntnis – das gilt auch für die Organisation von Arbeit. Kanban kann genutzt werden, um alle möglichen Abläufe und Arbeitsflüsse zu verbessern. Wichtig ist, dass alle Beteiligten in den Verbesserungsprozess einbezogen werden, denn das zeugt nicht nur von Respekt, sondern stärkt auch die Akzeptanz der Veränderung. Zunächst muss ein Team aktuelle Arbeitsabläufe verstehen und fängt mit dem Naheliegendsten an: Dem, was gerade getan wird. Alle Mitglieder stellen sich die Frage: Produziert die Arbeit, die wir aktuell verrichten, Mehrwert?
Prinzip 2: Committed Euch auf schrittweise, evolutionäre Veränderung
Ein durch Kanban organisiertes System strebt nach kontinuierlicher Verbesserung – und diese kommt langsam, aber stetig voran, weil dabei sanft und inkrementell, also in kleinen Schritten, vorgegangen wird. Wichtig ist, dass die positive Veränderung auf allen Ebenen der Organisation stattfindet und dass diese zum Wesen und den Werten des Unternehmens passt. Eine One-fits-all-Lösung gibt es nicht.
Prinzip 3: Fördert Führung auf allen Ebenen der Organisation
Oft wird dieser Punkt auch mit "Initiative" statt "Führung" übersetzt, denn es geht hier nicht um irgendeine Art von Hierarchie, sondern im Gegenteil darum, dass alle Menschen für ihre Arbeit Verantwortung übernehmen. Alle Praktizierenden von Kanban werden dazu ermutigt, bestehende Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren, neue Strategien zu entwickeln und jederzeit die Initiative zu ergreifen, wenn es der Sache dienlich ist. Dabei ist es unwichtig, welchen Titel sie tragen oder welche Rolle sie innehaben.
Die Kernpraktiken von Kanban
Jedes Kanban-System ist individuell perfekt an die Workflows eines Teams anpassbar. Dabei gibt es jedoch einige Kernpraktiken, deren Umsetzung zum erfolgreichen Einsatz von Kanban beitragen. Sie geben die Art und Weise vor, wie Ihr Eure Arbeit mit Kanban organisieren solltet.
1. Visualisierung
Visuelle Elemente sind die Basis von Kanban: Wir haben Karten und das Board an sich. Jede Aufgabe, die ein Team zu erledigen hat, steht auf einer Kanban-Karte. Dazu kommen alle Infos, die benötigt werden, um die Aufgabe nachzuvollziehen. Es steht also zum Beispiel drauf:
- Worum handelt es sich bei der Aufgabe?
- Welches Ergebnis wird gewünscht?
- Wer bearbeitet die Aufgabe?
- Wann muss sie fertig sein?
- Gibt es Hindernisse bzw. Abhängigkeiten?
Was nicht auf den Karten steht, ist der Status der Aufgabe. Dieser wird durch die Position der Karten und deren Bewegung über die Spalten des Kanban-Boards angezeigt. So wissen alle im Team jederzeit, was los ist, und der PO kann den Stakeholdern stets aktuelle Stände mitteilen.
Stellen wir uns beispielhaft mal so einen Board-Aufbau vor, wobei Ihr die Spalten, wie gesagt, total customizen könnt. Ganz links gibt es oft eine Backlog-Spalte, in der generell erstmal alle Aufgaben, die zu erfüllen sind, landen. Hier sind noch keine Bearbeitenden zugewiesen, vielleicht fehlen auch noch Spezifika. Ändert sich das, kommt die Karte samt Bearbeiter:in in die Spalte "bereit zur Bearbeitung" bzw. "to do". Legt ein Teammitglied mit einer Aufgabe los, zieht es die zugehörige Karte in die Spalte "doing" oder "Work in Progress" (WIP). Manchmal gibt es eine "on hold"-Spalte, in der die Aufgaben geparkt werden, mit denen es aus welchem Grund auch immer gerade nicht weitergeht – eine wichtige Board-Section, die viel Optimierungspotenzial in sich trägt! Oft gibt es eine "Review"-Spalte und dann natürlich die schönste von allen – die, in die fertigen Aufgaben kommen: "done"!
2. Limitierung von Work in Progress (WIP)
Der Mechanismus von Kanban kommt jedoch erst durch die zweite Kernpraktik, das WIP-Limit, zum Tragen. Denn man kann nicht einfach eine beliebige Anzahl von Aufgaben in die Spalten, die auf das Backlog folgen, einfüllen – um die Qualität zu erhöhen und gleichzeitig Überlastung und Verzögerungen durch den Verlust von Fokus zu vermeiden, setzt Kanban Limits für die laufende Arbeit: Das Team legt eine maximale Anzahl von Karten fest, die in einer Spalte sein dürfen – also die Menge an Arbeit, die gleichzeitig erledigt werden kann. Es können nur neue Aufgaben angegangen werden, wenn andere abgeschlossen sind. Auf diese Weise wird das Pull-Prinzip in Gang gesetzt.
3. Management des Workflows (WIP, Swimlanes, Durchsatz)
Durch die WIP-Limitierung wirkt das Team Engpässen entgegen und bringt den Workflow zum Schnurren. Flaschenhälse werden sichtbar und können aktiv behoben werden, um wieder in den Fluss zu kommen. Die Anzahl fast und halb fertiger Aufgaben verringert sich, der Fokus erhöht sich, weil das Team sich auf weniger Aufgaben konzentrieren muss und so zu viele Kontextwechsel vermeiden kann. Denn zu viel auf einmal machen zu wollen führt zu Ineffizienz, das weißt Du wahrscheinlich selber.
Ein Team kann seinen Workflow – also die Bewegung der Karten – auf dem Kanban-Board optimal überwachen und messen. Eine wichtige Kanban-Metrik, um die Produktivität eines Prozesses zu beurteilen, ist der Durchsatz: die Anzahl von Aufgaben, die von links nach rechts durch Euer System laufen. Die Formel ist das sogenannte Gesetz von Little, das der Mann mit Vornamen John D.C. 1961 formulierte:
Durchsatz = durchschnittliches WIP / durchschnittliche Zyklusdauer
Ein Zyklus beginnt, wenn eine Karte in den Status "in Bearbeitung", also "Work in Progress" versetzt wird und endet, wenn die Karte in "done" gelangt.
4. Klare Formulierung der Richtlinien
Um Missverständnisse – die ja auch wieder zu Verschwendung führen – zu vermeiden, ist es wichtig, dass alle im Team dieselben Vorstellungen von gewissen Begriffen und Abläufen haben. Deshalb solltet Ihr Prozessregeln festlegen und wichtige Definitionen wie das WIP-Limit oder das "Done" klären. Ihr könnt auch vereinbaren, was mit den bei “on hold” eingeordneten Karten geschieht, wie viele Leute maximal an einer Aufgabe arbeiten können oder ausmachen, dass die Personen, die Leerlauf haben, andere unterstützen. Hier gilt: Keep it clean & simple! Je einfacher und klarer Eure Regeln sind, desto mehr werden sie Euch zuspielen.
5. Implementierung von Feedbackschleifen
Der Spirit, dass Kanban von der kontinuierlichen Verbesserung durch den Input aller am Prozess beteiligten Personen lebt, hat es von den japanischen Produktionshallen in die globalen IT-Projektteams der Neuzeit geschafft und beeinflusst auch andere agile Methoden wie Scrum.
Ob es sich dabei um Kunden- oder Mitarbeitendenbefragungen, eine mündliche oder schriftliche Auskunft, ein Code Review oder eine Team-Retrospektive handelt: Feedbackschleifen sind ein probates Mittel, um adäquat auf Veränderungen reagieren zu können und Wissen bzw. Informationen auszutauschen. Ähnlich wie die im Scrum vorkommenden Regelmeetings – das Daily, das Weekly, Retro und Review – gibt es im Kanban zahlreiche Möglichkeiten, um Feedback einzuholen oder zu äußern und so das System stetig zu verbessern: neben frei festlegbaren Standardmeetings zählen auch das Board, Metriken wie der Durchsatz und Reviews dazu.
6. Gemeinsames Streben nach kontinuierlicher Verbesserung (Kaizen)
Der Anspruch, nie damit aufzuhören, besser zu werden, heißt auch: Kanban ist nie fertig. Was heute gut klappt, kann morgen schon schief gehen und Ihr braucht eine neue Herangehensweise. Das Ändern von Regeln gehört zu Kanban fest dazu. Um es noch deutlicher zu sagen: In dem Moment, wo Du damit aufhörst, Dein System zu verändern, stoppst Du den Verbesserungsprozess. Experimente sind wichtig, und Kanban lädt die Beteiligten ausdrücklich dazu ein, Neues auszuprobieren. Wenn Ihr eine gut klingende Idee habt, testet sie und sorgt dafür, dass sie schnell zurückrollbar ist (Rollback).
Leg los mit Kanban!
Wenn Du jetzt Lust hast, Kanban mal auszuprobieren: Do it! Die Methode lässt sich problemlos über bestehende Strukturen stülpen und kann diese kleinschrittig und sanft verbessern. Kanban funktioniert bei jeder Teamgröße und auch für Einzelpersonen. Du weißt ja, fang an, wo Du stehst! Für das Gelingen der Methode spielt es keine Rolle, ob Du mit Post-Its und einer Glasscheibe arbeitest, mit einem Blatt Papier und Stift oder mit einem digitalen Board – wobei letzteres natürlich im Remote-Umfeld praktischer ist und sich auch durch bessere Verwahrungs- und Erweiterungseigenschaften auszeichnet. Da gibt es heute zahlreiche Tools wie Trello oder Asana, die Du dafür nutzen kannst.
Ist das leere Board am Start, sammeln alle Beteiligten, welche Aufgaben es in einem Projekt gibt und legen dafür Karten an. Dann macht Ihr Euch Gedanken über Euren Workflow und stellt ihn in Spalten dar. Lasst die Karten durchwandern und guckt, ob es so Sinn ergibt. Wichtig ist, dass Ihr Euch jederzeit erlaubt, Elemente, die nicht funktionieren, anzupassen. Macht neue Spalten, schmeißt Workflows weg, nehmt Eure eigene Arbeit als Maß der Dinge, um ihren Fluss zu optimieren. Viel Spaß!
- Kanban wurde ursprünglich als Methode zur Prozessoptimierung bei Toyota entwickelt und ist ein Instrument, um den Fluss der Arbeit effizient und verschwendungsfrei zu gestalten.
- Basis ist die Visualisierung der Arbeit auf Karten, die nach bestimmten Regeln in einem Board von Spalte zu Spalte bewegt werden. Indem die Menge von gleichzeitig verrichteter Arbeit limitiert wird, kommt das Pull-Prinzip zum Tragen.
- Ein Kanban-System lässt sich in allen möglichen Arbeitskontexten anwenden, um Prozesse zu verbessern, Bottlenecks in der Produktion zu erkennen und Workflows zu optimieren. Dabei ist es wenig invasiv, zeigt aber große Wirkung!
- Nicht umsonst spielt Kanban in der heutigen Arbeitswelt und insbesondere im agilen Umfeld eine wichtige Rolle.
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Robin Janßen, Senior Consultant